Deutschland kann sich selbst versorgen
Panikmacher sehen das anders
Offene Stellungnahme an die bio verlag gmbh, Aschaffenburg:
Die BIO-Fachzeitschrift „Schrot & Korn“ berichtet in ihrer Ausgabe 08 | 2020 im Artikel „Reicht regional für alle?“ über den statistischen Selbstversorgungsgrad der Bundesrepublik Deutschland. Am Beispiel der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Grenzsperrungen wird dargestellt, dass das Land für die Veganer und Vegetarierer keine nährstoffausreichende Ernährung sicherstellen kann, weil z.B. der Gemüseversorgungsgrad von Tomaten, Zucchini und Paprika beweist, dass die erforderlichen Mengen nicht verfügbar sind. Unnötig reisserisch wird als Zwischenüberschrift in fetten Lettern „Obst und Gemüse reichen nicht aus“ Panik geschürt.
Der Gastautor des Artikels Leo Frühschütz hat entweder seine journalistischen Hausaufgaben nicht gemacht oder sein Verständnis für volkswirtschaftliche Zusammenhänge und betriebliche Realitäten ist zu wenig ausgeprägt. Vielleicht hat er auch einfach nur die Aufgabe, Beiträge zu liefern, die aufgrund des zu geringen zur Verfügung stehenden Budgets eine ausführliche Recherche nicht wirtschaftlich zulassen.
Doch für die folgenden Punkte reicht der gesunde Menschenverstand ohne tiefgründige Recherche völlig aus:
- Geschlossene Grenzen
Wenn wie im Artikel das Szenario „geschlossene Grenzen ohne länderübergreifenden Handel“ zugrunde gelegt wird, ist es nicht seriös, für das in einer solchen Situation resultierende Verhalten der Bevölkerung nicht ebenfalls ein Szenario abzuleiten. Jeder Mensch wird in „Zeiten der Not“ sein Einkaufs-, Konsum- und Verzehrverhalten seinen persönlichen Möglichkeiten anpassen. - Essen gehen
Sollten wie dargestellt, die Nahrungsmittelpreise für Obst und Gemüse steigen, werden Restaurantbesuche seltener werden. Nur so ist es möglich, die am Markt verfügbaren Nährstoffe im Rahmen des häuslichen Verzehrs nicht einschränken zu müssen. - Politisch gewollte Lebensmittel-Vernichtung
Die heutige bereits auf dem Acker subventionsgesteuerte Vernichtung von Lebensmitteln wird es nicht mehr geben. Das führt zu einer größeren Menge an Nahrung, die dem Markt zur Verfügung steht. - Lebensmittelqualitäten in der Wertschöpfungskette
Alle Stufen des Lebensmittelhandels werden zusätzlich die optisch weniger ansprechenden Qualitäten als „Preis-Untergrenzware“ in den Verkehr bringen. - Lebensmittelverderb im Groß- und Einzelhandel
Frische-Ware, die der Verbraucher heute wegen drohendem Verderb im Regal liegen läßt, wird künftig Abnehmer finden und wird nicht mehr mit hohem logistischem Aufwand vernichtet werden. Sollte dies die „Tafeln“ negativ treffen, ist die Regierung gefordert, die Arbeit der gemeinnützigen Organisationen dahingehend zu unterstützen, dass mit Arbeitslosengeld, Hartz IV und Sozialhilfe deren Nahrungsmittel bezahlt anstatt Zigaretten und Alkohol beschafft werden. - Lebensmittelverderb in den Haushalten
Mit höheren Preisen wird die Wertschätzung der Lebensmittel steigen. Der Verbraucher muß sich entscheiden, wie oft er Fleisch und teureres Obst und Gemüse kauft und diese Rohstoffe vielleicht sogar im Kühlschrank verderben läßt, weil er sich nicht gleichzeitig von den für ihn wichtigen Bezahlprogrammen der Fußballübertragungen trennen möchte. Prioritäten nach Maslow werden vernünftigerweise Einzug halten. - Gerade die vom Autor genannten Gemüsesorten wie Tomaten, Zucchini, Paprika lassen sich mit gutem Ertrag im eigenen Garten anbauen. Jeder Stadtbewohner ohne Balkon oder Hinterhof wird die „Vergnügungs-Attraktivität“ seiner Stadt gegen die Möglichkeit der Lebensmittel-Eigenversorgung in weniger dicht besiedelten Gebieten abwägen.
- Kaufen was wir tatsächlich essen
Viele Nahrungsmittel, die wir kaufen, verzehren wir nicht. Entweder wir leisten uns großzügige Abschnitte bei Karotten oder Sellerie bevor wir mit dem Kochen beginnen oder wir entsorgen wichtige Ballaststoffe und Pflanzenfasern, weil wir gelernt haben, dass man sie anstatt nach dem Kochen abzuseihen und zu vernichten auch pürieren und mitessen kann. - Umstellung von Gewohnheiten
Die Umstellung von Gewohnheiten, um gute und hochwertige Nahrung zu sich nehmen zu können, wird Einzug halten. Kartoffelchips werden als dekadentes Luxus-Lebensmittel verpönt, um alle Menschen mit der eigentlichen Wertigkeit der Kartoffel satt und leistungsfähig zu machen. Die positiven Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem können die höheren Ansprüche an gute Lebensmittel gut ausgleichen. - Neue Formen des Lebensmittelanbaus
Roof-Farming, Vertical-Farming und ähnliche regional umsetzbare Formen des Lebensmittelanbaus tragen zur Erfüllung der erforderlichen Nahrungsmenge in kleinsten wirtschaftlichen regionalen Einheiten zusätzlich bei. - Umstellung der Landwirte
Landwirte, die heute Milch und Fleisch im Überfluß für den attraktiven Export erzeugen, werden ihre Betriebe an die Bedürfnisse des Landes anpassen und genau die Produkte erzeugen, deren regionales Preis-Leistungsverhältnis für sie am attraktivsten ist. Entsprechende Abgaben auf „unnötige“ Lebensmitteltransporte könnten im Übringen schon heute positiv regulierend das Leid der Landwirte mindern. - Streuobstwiesen mit Nutzen
Der Wert der vielen Streuobstwiesen liegt darnieder. Auf den Wiesen verfault das Obst in Zeiten des Überflusses. Mit der Wertschätzung der Nahrungsmittel und des Bedarfs an Mineralstoffen und Vitaminen wird es genügend Menschen geben, die dankbar zum Ernten gehen. - Erntehelfer
Wer in seiner Freizeit dem örtlichen Landwirt hilft, die Ernte einzuholen, der wird als steuer- und sozialversicherungsfreien Lohn gesunde Nahrungsmittel erhalten. Diese müssen nicht im Supermarkt zur Verfügung stehen. - Pflanzliches Protein aus Hülsenfrüchten
Völlig unerwähnt läßt der Autor die schier unermessliche Menge an pflanzlichem Protein aus Hülsenfürchten. Diese können wir in Deutschland mit wenig energetischem und ressourcenverbrauchendem Aufwand produzieren.
Regionalmanager sind nicht wirklich erforderlich
Ein Interview mit der Geschäftsführerin des Bundesverbandes der Regionalbewegung Ilkona Sindel, das die Ergebnisse der unzureichenden Recherchearbeit bekräftigt, zeigt die fehlende Bereitschaft, sich mit der Materie intensiv auseinanderzusetzen. Wir sollten nicht versuchen, bestehende politische Rahmenbedingungen künstlich am Leben zu halten und diese mit viel zu komplizierten und streitbaren Mitteln zu bestätigen.
Mit nur 60 Minuten Gedankenarbeit hätte der Artikel in „Schrot & Korn“ aufzeigen können, wie gut die Substitutionswirtschaft in Deutschland funktioniert, wenn nicht mehr zeitgemäße Rahmenbedingungen einfach abgeschafft werden.