Hausgemacht schmeckt nicht
“Wir stellen alles frisch her”, versprach uns die liebenswerte Bedienung, als wir mit der Familie am Abend nach einem langen EuropaPark-Erlebnistag unser Essen auf der Terrasse eines Gasthofs in Rust bestellten. Zugegeben, jeder von uns ist etwas kompliziert. Und als Schwabe möchte ich für mein gutes Geld auch die erwartete Ware. Doch was darf ich erwarten?
Leider wird es immer wieder zum großen Drama, wenn wir unsere recht einfache Erwartungshaltung, zusatzstofffrei und allergiedefiniert essen zu wollen, zum Ausdruck gebracht haben. Die Hoffnung der Bedienung, mit dem Satz “Wir stellen alles selbst her – Fertigprodukte gibt es bei uns in der Küche nicht”, unsere Bedürfnisse vollumfassend erfasst zu haben, um damit jeder weiteren Diskussion zu entgehen, machte es uns nicht einfacher.
Denn sie fragte, ob ich zu meinem Steak mit gebratenen Zwiebeln etwas Bratensoße haben wolle. Ich freue mich immer auf hausgemachte Bratensoße, wollte es aber genauer wissen. “Wenn die Soße selbst gemacht ist ohne Fertigpulver oder sonstige Chemie – also auch nicht mit legal versteckten Zusatzstoffen nach § 9″, antwortete ich, “ansonsten bitte keine Soße”.
Unser Jüngster ernährt sich von Kartoffelprodukten aller Art, vorausgesetzt es ist kein Grünzeug und sonstiges Gemüse dran. Das war einfach.
Meine Frau hat gegen Unverträglichkeiten zu kämpfen. “Können Sie den Salatteller mit Putenstreifen, bitte nur mit Blattsalaten machen, das Fleisch lediglich mit Salz und Pfeffer würzen und nur in Öl anbraten sowie anstatt Dressing darüberzugeben einfach Salz, Pfeffer, Essig und Öl getrennt reichen?” Die eifrige Bedienung notierte auf ihrem viel zu kleinen Zettel diesen Wunsch und zu meiner großen Freude wiederholte sie, was sie aufgeschrieben hat! Doch meine Erfahrung lehrt mich, das Weglassen jedes weiteren Salates oder einer Garnitur nochmals zum Ausdruck zu bringen. “Das ist kein Problem”, freute sich die immer noch motivierte Kellnerin.
Unser Großer entschied sich klassisch für das panierte Schnitzel mit Pommes mit dem Wunsch, keine Garnitur oder sonstige Dinge wie Petersilie oder Soße auf das Teller zu bekommen. Da das so einfach war, resümierte ich nochmals positiv: “Wir freuen uns sehr, dass ihr Koch keine gekörnten Brühen und Fertigsoßen verwendet”.
Beim Servieren der Getränke teilte mir die hilfsbereite Bedienung mit, dass sie den Koch wegen meiner Bratensoße gefragt und die Antwort bekommen hat, dass er die Soße klassisch frisch herstellt und nur am Ende mit Geschmacksverstärker abschmeckt. Welcher Koch macht sich den tollen Aufwand, eine Soße aufwändig nach dem Lehrbuch zu kochen und zerstört dieses Wunderwerk des Geschmacks dann mit Chemie?
Auf den Blattsalaten lagen Zwiebelringe und Paprikastreifen. Alles war üpig mit Schnittlauchröllchen überstreut! Die Putenstreifen waren vorproduziert und vermutlich in der Mikrowelle erhitzt. Meine Frau gehört zum Glück zu den Menschen, die Geflügelfleisch gerne trocken essen.
Mein Steak war mit gekörnter Brühe gewürzt. Der Geschmack des guten Stück Fleisches und den wirklich toll gebratenen Zwiebeln waren durch die künstliche Gemüsebrühe nicht mehr identifizierbar.
Das panierte Schnitzel wurde in gekörnter Brühe geradezu gebadet oder das Paniermehl mit gekörnter Brühe vermischt worden. Wer gerne Brühwürfel lutscht, wäre hier auf seine Kosten gekommen.
Die industriell hergestellten Pommes und Kroketten fanden den Zuspruch unseres Kartoffelliebhabers und entsprachen damit unserer Erwartung.
Auf die Frage während des Essen, ob alles in Ordnung sei, antwortete ich zum aufkommenden Ärger meiner Frau, den sie mir mit aufreisenden Augen signalisierte, “Nein. Mein Steak und das Schnitzel meines Sohnes schmecken nach Flädlesuppe. Ich schmecke nichts vom Fleisch und von den Zwiebeln. Das ist alles mit gekörnter Brühe gewürzt.” Den hochdekorierten Blattsalat erwähnte ich zur Wahrung des Abendfriedens vorsichtshalber nicht. “Es tut mir leid, dass es Ihnen nicht schmeckt”, antwortete sie. “Wir werden das aufessen und auch bezahlen, es ist nur nicht das, was wir erwartet haben, als Sie uns versprochen haben, dass in der Küche ohne Chemie und Fertigpulver gekocht wird”, entgegnete ich.
Beim Bezahlen machte ich der immer noch freundlichen Bedienung Mut und sagte ihr, dass es nicht an ihr liegt, dass jeder Koch im Rahmen seiner Möglichkeiten arbeitet. Sie hat sich gut geschlagen und das Trinkgeld redlich verdient.
Oliver Blum, Gedächtnisprotokoll vom 22. August 2019
Nachtrag:
Meine Frau ärgert sich nach zwei Tagen immer noch über die Ignoranz des Koches! Wir hätten eine echte Frische-Küche mit Begeisterung weiterempfohlen und wären beim nächsten EuropaPark-Besuch auch gerne wieder gekommen.